Pearl Harbor, 7. Dezember 1941
Am Morgen des 7. Dezembers 1941, einem Sonntag, begann die Bordband des Schlachtschiffes Nevada in Pearl Harbor gerade „The Star Spangled Banner“ zu spielen, als um 7:57 h die ersten Bomben auf die im Hafen liegende amerikanische Pazifik Flotte fielen. 350 japanische Maschinen griffen in zwei Wellen die auf Oahu stationierten, völlig arglosen und unvorbereiteten Marine- und Armee-Einheiten an. Als gegen 10:00 h die zweite Welle abdrehte, waren 18 Schiffe, darunter alle acht amerikanischen Schlachtschiffe gesunken, gekentert oder schwer beschädigt. Die USS Arizona war bereits kurz nach 8:00 h nach einer gewaltigen Explosion gesunken. Über dem auf ebenem Kiel im flachen Wasser liegenden Wrack steht heute eine weiße Brücke als Memorial, in dem nicht nur den 1177 auf der Arizona gebliebenen Besatzungsmitgliedern gedacht wird, sondern insgesamt den an diesem Sonntag Morgen gefallenen 2008 Marine-Angehörigen und den 395 Soldaten und Zivilisten.
„At Dawn We Slept“ ist der bezeichnende Titel des Standardwerks des Historikers Gordon Prange über den Angriff auf die Flotte in Pearl Harbor. Mit diesem Überraschungsangriff begann der fast vier jährige erbitterte Krieg im Pazifik, der erst durch die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki beendet wurde. Wie konnte es zu diesem Angriff kommen?
Die Jahre und insbesondere die letzten Monate vor dem Dezember 1941 sind auf der einen Seite geprägt von Großmachtstreben und Selbstüberschätzung, sowie einer genialen, konsequenten Planung, deren Durchführung letztlich der wirklich große Erfolg aufgrund von Verzagtheit und Zögerlichkeit verwehrt blieb. Auf der anderen Seite standen dem Fehleinschätzungen und Ignoranz gegenüber, deren Folgen durch organisatorische Mängel und Fehlverhalten verstärkt wurden, die aber letztlich vermutlich ein wesentlich verheerenderes Ergebnis verhindert haben.
Sanktionen und Fehleinschätzungen
Japan fühlte sich durch den von Theodore Roosevelt vermittelten Friedensvertrag von 1905 mit Russland aufgrund der Rückgabe der Mandschurei in gewisser Weise um die Früchte seines Sieges betrogen. Auch das Flottenabkommen von 1922, in dem die USA, UK und Japan sich auf maximale Größen der jeweiligen Flotten geeinigt hatten, wurde in Japan vielfach als Demütigung empfunden, da Japan im Verhältnis 6:10 nicht die gleiche Flottengröße zu gebilligt wurde wie den beiden westlichen Nationen. Darüber empfanden die Japaner ihre Abhängigkeit von Rohstoff-Importen als Schwäche.
Nachdem Japan 1931/32 die Mandschurei erobert hatte, um sich dortige Rohstoffvorkommen zu sichern, verkündete der damalige amerikanische Außenminister Stimson die nach ihm benannte Doktrin, nach der die USA keine Eroberungen beziehungsweise Besitznahmen durch Kriege anerkennen würden. Diese Doktrin empfanden die Japaner als unehrlich, hatten doch die USA die Herrschaft über die Philippinen durch den gewonnenen Krieg gegen Spanien erlangt. Mit Druck und Sanktionen versuchten die USA die Japaner zur Freigabe der Mandschurei zu veranlassen. Dieser Druck wurde verstärkt, nachdem Japan im 2. chinesisch-japanischen Krieg Teile von China besetzt hatte. Japan hing weiterhin ganz wesentlich unter anderem von Öl-Importen aus den USA ab. Während die eine Seite glaubte, die andere durch höheren Druck, das heißt immer strengeren Sanktionen in die Knie zwingen zu können, plante die andere Seite weitere Eroberungen in Südost-Asien, um sich diesem Druck zu entziehen. Dass Japan nicht bereit war, sich dem Druck von Sanktionen zu beugen, wurde deutlich, als japanische Truppen am 23. September 1940 in Malaysia, Kambodscha, Vietnam und Indonesien einmarschierten. Damit hatte sich Japan weitere Rohstoff-Quellen gesichert.
Erschwert wurde das Verhältnis zwischen den USA und Japan dadurch, dass beide Seiten ein jeweils äußerst negatives Bild der anderen Seite hatten. So hielten – gemäß amerikanischer Autoren – die Mehrzahl der Amerikaner die Japaner für langsame Denker, irrational, schlicht und technisch inkompetent. Selbst nach dem Angriff war die Meinung weit verbreitet, die Japaner wären dazu nicht fähig gewesen und die japanischen Flugzeuge seien von deutschen Piloten geflogen worden. Das Bild der Amerikaner in Japan wiederum war stark geprägt durch amerikanische Filme. So glaubten die Japaner offenbar, sehr viele Amerikaner seien Gangster, Gauner und Prostituierte. Und da die Amerikaner nur am Profit interessiert seien, würden sie einen längeren Krieg ablehnen, da er zu unprofitabel sei, so jedenfalls die verbreitete Meinung, auch vieler führenden japanischen Politiker und Militärs – mit Ausnahme der Marine und insbesondere Admiral Yamamotos (siehe unten).
Für den amerikanischen Präsidenten Roosevelt hatte der Krieg gegen Nazi-Deutschland oberste Priorität. So versuchte Roosevelt die Spannungen mit Japan durch eine persönliche Botschaft an den japanischen Kaiser zu entspannen. Die japanische Regierung verzögerte aber die Übergabe an den Kaiser um mehrere Tage und die japanische Übersetzung war wesentlich weniger versöhnlich als von Roosevelt beabsichtigt. Der Präsident nahm es hin, dass sein Außenminister Hull die von Roosevelt gewollte leichte Verschärfung der Sanktionen in eine deutliche ummünzte. Diese Verschärfung wurde in Tokio als Zeichen dafür verstanden, dass die Amerikaner nicht bereit wären, fair mit den Japanern zu verhandeln. In der Folge trat der Ministerpräsident zurück, der den Krieg hatte bis dahin verhindern wollen. Sein Nachfolger war bereit, auch einen Krieg mit den USA in Kauf zu nehmen.
Erschwert wurden die diplomatischen Verhandlungen zusätzlich dadurch, dass Außenminister Hull, ein Hardliner, ausgerechnet dem japanischen Botschafter Nomura nicht traute, den Tokio nach Washington entsandt hatte. Botschafter Nomura hoffte, den Frieden zu erhalten, und wurde letztlich von seiner eigenen Regierung hintergangen. Schließlich glaubte Minister Hull auch nicht, dass die Japaner einen Krieg gegen die USA wagen würden.
Generell hat die Washingtoner Administration die Japaner im Vorfeld des Angriffs völlig unter-, die eigenen, insbesondere die militärischen Fähigkeiten aber überschätzt. Der amerikanische Botschafter in Tokio Grew aber hatte tiefe Einblicke in die japanische Gesellschaft und das Denken der politischen Elite gewinnen können. Seine zutreffenden Analysen und Warnungen wurden von der Administration in Washington aber fast völlig ignoriert. So auch die Nachricht, mit der Grew Washington Anfang 1941 darüber informierte, dass der peruanische Botschafter aus zuverlässiger japanischer Quelle erfahren hatte, dass die Japaner einen großangelegten Überraschungsangriff auf Pearl Harbor planen würden.
Anmerkung: die Vorgeschichte des Angriffs auf Pearl Harbor zeigt, welch stumpfes Schwert Sanktionen sind, aber auch was für ein gefährliches, wenn der von den Sanktionen betroffenen Seite keine Möglichkeit gegeben wird, die Situation unter Gesichtswahrung zu entschärfen.
Mastermind: Admiral Isokuru Yamamoto
Der Oberkommandierende der japanischen Flotte, Admiral Isokuru Yamamoto, war seit seiner Zeit als Marine-Attaché an der japanischen Botschaft in Washington Bewunderer der USA und davon überzeugt, dass Japan die USA in einem länger dauernden Krieg nicht würde besiegen können. Zu groß seien die Ressourcen der USA. Generell war Yamamoto gegen eine Ausweitung des bis dato nur gegen China geführten Krieges. Zudem war er bekannt als Freund der USA und Kritiker Nazi-Deutschlands. Um den Admiral vor Attentaten der Kriegstreiber besser schützen zu können, beförderte ihn der Marine Minister 1939 zum Commander-in-Chief der japanischen Flotte, dessen Hauptquartier auf seinem Flagschiff war.
Neben seinem Wissen um die Stärke der USA wurde Yamamotos Skepsis wohl auch davon geprägt, dass er zunächst auch mit der britischen Flotte in einem Pazifik-Krieg hatte rechnen müssen. Am 5. August 1940 aber stellte das britische Kriegskabinett fest, dass das Vereinigte Königreich im Falle eines Angriffs der Japaner auf Hong Kong, Singapur oder Malaysia keine Flotteneinheiten in den Pazifik würde entsenden können. Dadurch würde die Home Fleet zu sehr geschwächt. Dieser Beschluss wurde dem Commander-in-Chief in Singapur per Handelsschiff gesandt. Diese Schiff wurde am 11. November vom deutschen Hilfskreuzer Atlantis unter Kapitän Rogge aufgebracht. Der Beschluss fiel Rogge in die Hände, der sofort seine Bedeutung erkannte. Umgehend brachte Rogge die Papiere nach Tokio, wo sie im Dezember 1940 den Japanern übergeben wurden. Jetzt wusste Yamamoto, dass er gegebenenfalls nur gegen die amerikanische Pazifik Flotte würde kämpfen müssen.
Erst im April 1940 hatte Roosevelt die Pazifik Flotte von San Diego nach Pearl Harbor verlegen lassen. Aufgrund der geringen Wassertiefe galten die Schiffe dort als vor Torpedos sicher. Am 11. November 1940 aber griffen britische Torpedo-Flugzeuge vom Träger Illustrious aus die italienische Flotte im Hafen von Tarent an. Trotz des flachen Wassers konnten dank speziell dafür entwickelter Torpedos drei Schlachtschiffe versenkt werden.
Von diesen Ereignissen inspiriert sah der leidenschaftliche Pokerspieler Yamamoto in dem Überraschungsangriff auf die Flotte in Pearl Harbor seine Chance, die einzige Chance. Durch diesen Überraschungsschlag glaubte der Admiral den von der japanischen Regierung gewünschten Krieg mit den USA wenigstens für eine gewisse Zeit offen halten zu können. Zitat: „Ich kann versprechen, ihnen (den Amerikanern) ein, vielleicht anderthalb Jahre die Hölle heiß zu machen, aber was danach kommt, weiß ich nicht.“
Yamamoto und sein Team bereiteten den Angriff unter strikter Geheimhaltung perfekt vor. Die benötigten Torpedos wurden entwickelt und erprobt. Die Piloten in zahllosen Trainingsflügen geschult und letztlich die Fahrt nach Hawaii minutiös geplant. Da bis die Strategie der japanischen Marine bis zu Yamamotos Plan immer von einer Entscheidungsschlacht in japanischen Gewässern – ähnlich der Vernichtung der russischen Flotte 1904 vor Tsushima – ausgegangen war, hatten nur die modernsten Schiffe der japanischen Flotte genügend Öl für längere Fahrten an Bord. Das heißt die Task Force, die am 26. November auslief, musste täglich bei schwerer See im Nord-Pazifik bunkern. Zu dem galt es bei absoluter Funkstille zusammen zu bleiben.
All das gelang perfekt. Am Morgen des 7. Dezembers hatte die Task Force die geplante Position etwa 220 Meilen nördlich Oahus erreicht, die Träger drehten um 5:50 Uhr in den Wind und innerhalb von 15 Minuten war die erste Welle mit 185 Flugzeugen in der Luft und formierte sich zum Angriff auf Pearl Harbor.
Organisationsversagen
Haben die Amerikaner gewusst, dass Pearl Harbor angegriffen würde? Nein, aber sie hatten viele Informationen, die darauf hinwiesen. Nur wurden sie nicht zur Kenntnis genommen!
1925 veröffentlichte der angesehene Marine-Korrespondent des Daily Telegraph sein Buch „The Great Pacific War“. In ihm beschreibt Bywater, dass die Japaner den Krieg mit einem Überraschungsangriff auf die US-Flotte in Pearl Harbor beginnen würden. Als die Buch erschien, war Yamamoto Marine-Attaché in Washington. Es erscheint aus heutiger Sicht als sehr unwahrscheinlich, dass er dieses Buch nicht gelesen habe.
Unter dem Eindruck des erfolgreichen Angriffs auf die italienische Flotte inTaranto beauftragte Marine-Minister Stark Rear Admiral Ansel, sich mit den Implikationen insbesondere im Hinblick auf Hawaii zu befassen. Am 24. Januar 41 sandte Stark das Ergebnis unter anderen an Kriegsminister Stimson und Admiral Kimmel in Pearl Harbor. Admiral Ansel war in seiner Studie zu dem Schluss gekommen, dass „im Falle eines Krieges mit Japan es für sehr leicht möglich gehalten wird, dass die Feindseligkeiten durch einen Überraschungsangriff auf die Flotte oder die Marine Basis in Pearl Harbor begonnen werden.“ Dieser Angriff würde wahrscheinlich mit Bombern und/oder Torpedo-Flugzeugen erfolgen.
Naval Base Defense Air Force Commander Admiral Bellinger und Air Force Commander General Martin – beide auf Hawaii – warnten am 31.März 1941 Marineminister Stark und Admiral Kimmel, dass die Japaner bereits vor einer Kriegserklärung Pearl Harbor überraschend angreifen könnten, insbesondere mit von Flugzeugträgern gestarteten Bombern.
Beide Studien blieben offenbar unbeachtet. Einer der Gründe mag gewesen sein, dass man den Japanern die Fähigkeiten für so einen Angriff nicht zutraute…
Seit dem 25. September 1940 lasen die Nachrichtendienste in Washington den Funkverkehr zwischen Tokio und der Botschaft in Washington mit. Machtkämpfe zwischen den sich in der Verantwortung für die Aufklärung abwechselnden Diensten der Armee und der Navy führten zu Reibungsverlusten und Versäumnissen. Bei der Navy war Rear Admiral Turner, „Terrible Turner“, Kommandeur der War Plans Division verantwortlich. Turner gilt als eine Schlüsselfigur für die Fehler in Washington im Vorfeld des 7. Dezembers. Machtorientiert, egoman und rücksichtslos unterwarf er sich ohne jede Erfahrung in diesem Bereich die Aufklärungsabteilung der Navy. Nur er selber durfte die decodierten Nachrichten interpretieren. Und Turner bestimmte, was Hawaii erfuhr beziehungsweise eben nicht erfuhr. So erfuhr Kimmel nichts davon, dass Washington den Funkverkehr zwischen Tokio und seiner Botschaft mitlas. Kimmel erfuhr nicht, dass die Japaner den 25. November als letzt möglichen Termin für eine Einigung festgelegt hatten. Der Commander-in-Chief erfuhr nicht, dass die japanische Marine am 2. Dezember den Befehl erhalten hatte „Besteige den Berg Niikata am 8. Dezember“. Niikata ist der höchste Berg Japans. Der 8. Dezember in Japan ist der 7. auf Hawaii. Umstritten ist, ob die Amerikaner am 4. Dezember tatsächlich die sogenannte „winds execute“ Nachricht auffingen. „East wind rain“ bedeutete Krieg mit den USA, wie die Amerikaner zuvor entschlüsselt hatten.
Der vielleicht gravierendste organisatorische wie menschliche Fehler aber war, dass die Verantwortlichen in Hawaii die Inhalte der Funksprüche der japanischen Marine und des Konsulats in Honolulu nicht erfuhren, die die eigene Abhörstation Hypo auf Oahu aufgefangen hatte. Das vermutlich schwer wiegendste Versäumnis war, dass Tuner Kimmel die sogenannte „Bomb Plot Message“ vorenthalten hat. Mit ihr wurde das Generalkonsulat auf Oahu aufgefordert, Tokio zweimal wöchentlich mitzuteilen, welche Schiffe in welchen Bereichen des in Planquadrate aufgeteilten Hafens liegen würden. Die Mitarbeiter der Aufklärungsabteilung der Navy erkannten die Bedeutung dieser Nachricht im Hinblick auf eine mögliche Bombardierung. Turner aber gab sie nicht weiter. Letztlich erfuhr Kimmel auch nichts davon, dass das Konsulat in Honolulu wie die Botschaft in Washington am Tag vor dem Angriff aufgefordert wurden, die Codes und geheimen Papier zu verbrennen.
In Kenntnis des diplomatischen Funkverkehrs der Japaner musste Washington davon ausgehen, dass der Kriegsausbruch unmittelbar bevor stand. Aber vor dem Hintergrund der Ende 41 immer noch sehr starken pazifistischen, isolationistischen Bewegung in den USA wollten Roosevelt und seine Regierung alles vermeiden, was als erste Schritt der USA verstanden werden konnte. So wurden von Stimson und Stark am 25 November an alle Kommandeure im Pazifik eine sorgfältig abgestimmte Warnung versandt, die vor einem Kriegsausbruch im Westpazifik in den nächsten Tagen warnte und vor einem möglichen Angriff auf die Philippinen. Von einem möglichen Angriff auf Pearl Harbor enthielten die Warnungen kein Wort. Ausdrücklich aber wurde daraufhin gewiesen, dass eine Beunruhigung der Bevölkerung zu vermeiden sei.
Während Stimson, Stark und Marshall glaubten, alle pazifischen Einheit in kriegsmäßige Alarmbereitschaft versetzt zu haben, lasen die vom Ernst der Lage überraschten Kimmel und Short auf Hawaii abgeschwächte Formulierungen und die dringende Warnung, keine aggressiven Handlungen vorzunehmen. Die Verantwortlichen in Washington hatten übersehen, dass sie ihre Kommandeure auf Hawaii bewusst unwissend gehalten hatten. Folglich interpretierten die Empfänger die Formulierungen anders als sie gemeint waren.
Die letzte große Chance, Hawaii rechtzeitig zu warnen, wurde in Washington am Morgen des 7. Dezembers vergeben. Am Morgen war die 14te und letzte Seite einer Note entschlüsselt worden, die der japanische Botschafter um Punkt 13:00 Uhr Ortszeit, 7:30 h auf Hawaii (!), dem US-Außenminister übergeben sollte. Der Inhalt war die japanische Kriegserklärung. Alle Nachrichtenoffizier schlossen aus der präzisen Zeitvorgabe, dass unmittelbar danach ein Angriff seitens der Japaner erfolgen würde. Am 7. Dezember war die Armee für den Nachrichtendienst verantwortlich. Ohne Einwilligung des Chief-of-Staff der Armee, General Marshall, durfte keine Warnung herausgegeben werden. Marshall war aber trotz des drohenden Kriegsausbruchs zuhause nicht zu erreichen, da er auf seinem morgendlichen Ausritt war. Zurückgekommen fuhr er zunächst ins Büro und las alle 14 Seiten, obwohl ihn sein Nachrichten Offizier auf die Brisanz der letzten Seite hingewiesen hatte. Erst danach wurde eine Warnung auch an Hawaii formuliert und nach Abstimmung mit Stark auch an die Navy geschickt. Da aber schlechtes Wetter herrschte und der Sender der Navy zu schwach war, wurde die Nachricht über den kommerziellen RCA-Sender nach Oahu gesendet. Da versäumt worden war, der Nachricht hohe Priorität zu geben, wurde sie auf Oahu ganz normal verteilt – und erreichte Admiral Kimmel etwa eine Stunde nach Beginn des Angriffs.
Aufgrund von Problemen in der Botschaft mit dem Dechiffrieren und der Übersetzung der 14-seitigen Erklärung konnte der ahnungslose Botschafter Nomura sie erst etwa eineinhalb Stunden nach dem zwischenzeitlich erfolgten Angriff übergeben. Insofern erfolgte der Angriff ohne vorherige Kriegserklärung. Auch deshalb sprach Präsident Roosevelt am 8. Dezember in seiner Rede vor beiden Häusern im Capitol vom Vortag als „a date which will live in infamy..“.
Auf Hawaii hatte Admiral Kimmel offenbar die noch nicht einmal neun Monate alte Warnung von Bellinger und Martin vergessen und zog die Möglichkeit eines Überraschungsangriffs nicht in sein Kalkül. Zwar beobachtete das FBI den japanischen Spion Takeo Yoshikawa, einen Mitarbeiter aus dem Konsulat. Da Washington die Verantwortlichen auf Hawaii aber über die verräterischen Informationen, die Yoshikawa vom Konsulat nach Tokio sandte, nicht informierte, konnte der Spion ungestört seine Aufträge wie die „Bomb Plot Message“ ausführen. Das Teehaus, aus dem heraus Yoshikawa die Flotte im Hafen beobachtete, existiert auch heute noch.
Auch als Kimmels Nachrichtenoffizier, der spätere Admiral Layton, ihm am 2. Dezember bestätigten musste, dass er nicht wisse, wo die japanischen Flugzeugträger seien, war der CinCPac Kimmel nicht sonderlich beunruhigt. Laut Layton, fragte der Admiral ihn: „Nach dem, was Sie wissen, könnten sie (die Träger) um Diamond Head (auf Oahu) herumkommen, ohne dass Sie es (vorher) wüssten?“ Layton: “Yes, Sir!“ Konsequenzen wurden aus dieser Erkenntnis nicht gezogen.
Vielmehr waren General Short und Admiral Kimmel der Überzeugung, sie müssten ihre Einheiten im Falle des Kriegsausbruchs vor Sabotage schützen, obwohl es zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Hinweise auf subversive Aktivitäten seitens der Japaner auf Hawaii gegeben hatte. So befahl General Short, die Flugzeuge, die die Flotte schützen sollten, am Wochenende besonders eng zusammen zu stellen, da sie so besser zu schützen seien. So wohl an Land wie auf den Schiffen wurden die Munitions-Magazine und Kisten verschlossen, ohne dass allgemein bekannt war, wer wo über die Schlüssel verfügte. Als Folge saßen die Matrosen am 7. Dezember in ihren Ausgehuniformen an den Flags und, wie die Soldaten an Land, vor verschlossenen Munitionskisten. Aus dieser verzweifelten Lage stammt der legendäre Ausruf des Kaplans der New Orleans: „Praise the Lord and pass the amunition!“.
Kimmel etablierte keine Kommunikationswege für den Ernstfall. So erfuhr er nicht rechtzeitig, dass ein Zerstörer in den Morgenstunden des 7. Dezembers ein Kleinst-U-Boot der Japaner vor der Hafeneinfahrt von Pearl Harbor entdeckt und versenkt hatte. Auch erfuhren die Verantwortlichen der Army und der Navy nicht, dass ein junger Soldat an einem neu installierten Radargrät die anfliegenden japanischen Flugzeuge entdeckt hatte. Aber anstatt die mehr als 50 Flugzeuge zu melden, meldete er nur eine große Zahl. Der Offizier der Armee, der diese Meldung erhielt, ahnte nichts von einem bevorstehenden Kriegsausbruch. Er wusste nur, dass eine Gruppe von neuen B 17 Bombern im Anflug auf Hawaii waren. Um diese würde es sich wohl handeln. Die allerletzte Chance für eine Alarmierung der „Schlafenden“ war vertan.
Glück dank Versagen?
Vorrangiges Ziel der Japaner waren die amerikanischen Flugzeugträger. Beide Träger der Pazifik Flotte waren am Morgen des 7. Dezembers auf See. Die Enterprise stand allerdings nur wenige Meilen vor Oahu. Die modernen Träger und die sie begleitenden Kreuzer entgingen folglich dem Angriff. Fast unbeschädigt blieben die Hafenanlagen. Der Kommandant der japanischen Task-Force, Admiral Nagumo, widersetzte sich allen Aufforderungen seiner Offizier, noch einen dritten Angriff auf die Hafenanlagen fliegen zu lassen. Hätten die Japaner auch noch die Hafenanlagen und die Werften zerstört, wäre das Bergen und Reparieren der Schiffe wohl kaum oder nur sehr viel später möglich gewesen. Und die amerikanische Marine hätte ihre operationelle Basis wieder an die Westküste verlegen müssen. Ein junger Offizier der japanischen Marine analysierte nach dem Krieg, dass die japanische Marine mit der Philosophie der Sumo-Ringer in den Krieg gezogen sei. Man habe dem Gegner in Pearl Harbor und in anderen Gefechten Niederlagen bereiten wollen, ihn aber nicht vernichtend schlagen. Nur anders als die Sumo-Ringer haben die US nach der Niederlage in Pearl Harbor nicht als Verlierer die Matte verlassen, sondern haben alle Kräfte mobilisiert und schon am 4. Mai 42 im Seegefecht in der Coral Sea die Japaner gestellt. Und mit dem Versenken von vier japanischen Trägern in der Schlacht bei Midway am 4. Juni 42 haben die Amerikaner die Vorherrschaft der japanischen Marine im Pazifik gebrochen.
Wären Marine und Armee kurz vor dem Angriff gewarnt worden, wären die Verluste sicherlich wesentlich geringer gewesen. Die Mannschaften wären auf Gefechtsstation und die Schotten in den Schiffen geschlossen gewesen. Niemand hätte mehr „geschlafen“.
Hätte Admiral Kimmel aber alle Informationen, die in Washington vorlagen, gehabt wie zum Beispiel die „Bomb Plot Message“, wären er vermutlich mit der Flotte ausgelaufen, um die Japaner in einer Seeschlacht zu stellen. Gemäß seinem Nachfolger als CinCPac, Admiral Chester Nimitz, wäre diese Schlacht für die US Navy aufgrund der japanischen Überlegenheit vermutlich wesentlich verlustreicher geworden.
Churchill
Mit einiger Berechtigung kann man wohl davon ausgehen, dass der britische Geheimdienst die selben Funksprüche aufgefangen hat wie die Amerikaner. Nur haben die Briten vermutlich präzisere Schlüsse daraus gezogen – und sich nicht vorstellen können, welche Fehler in Washington gemacht wurden. Churchill jedenfalls war nicht sonderlich überrascht, als er von dem Angriff auf Pearl Harbor erfuhr. Und er wusste, dass dies den Eintritt der USA in den Krieg gegen Nazi-Deutschland bedeuten würde. Damit hatte Hitler keine Chance mehr. Churchill legte sich an diesem Abend, wie er sagte, schlafen, um den Schlaf der Geretteten und Dankbaren zu schlafen.
… dann kommt der Krieg zu Dir
Noch am 6. Dezember 1941 glaubten 48% der Amerikaner nicht daran, dass die USA in den in Europa und Asien tobenden Krieg hineinziehen lassen sollten. Aber getreu dem Wort Bertold Brechts „Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin – dann kommt der Krieg zu Dir“ kam der Krieg einen Tag später, am 7. Dezember 1941 um 7:57 h Ortszeit zu den Amerikanern auf Hawaii.
USS Arizona
Wie auf jedem anderen Schiff der US Navy wird auch heute noch auf der Arizona um 8:00 Uhr jeden Morgen die amerikanische Flagge gehisst. Die Arizona ist noch in Dienst. Ein großer Teil ihrer Besatzung ist noch an Bord. Auf ebenem Kiel liegt das Schiff knapp unter der Wasseroberfläche Pearl Harbors. Reste des dritten Geschützturms ragen aus dem Wasser. In kleinen Tropfen dringt Öl an die Oberfläche. Ehemalige Besatzungsmitglieder, die den Angriff am 7. Dezember überlebten, lassen sich auf dem Schiff bestatten, um bei ihren Kameraden die letzte Ruhe zu finden. – Eine weiße, leicht geschwungene Brücke steht im blauen, klaren Wasser über dem Rumpf. Ihre Silhouette hebt sich ab gegen die Palmen auf Ford Island. Der Eindringlichkeit dieses Ortes kann sich wohl kaum ein Besucher entziehen. Und angesichts der schlichten Schönheit des Memorials und seiner Umgebung muss jeder Versuch scheitern, sich das Inferno auszumalen, das an dieser Stelle vor 75 Jahren ausgebrochen ist.
Literatur:
Gordon W. Prange with Donald M. Goldstein and Katherine V. Dillon: ,,At Dawn We Slept, Tue Untold Story of Pearl Harbor“, Penguin Books 1982
Gordon W. Prange with Donald M._Goldstein and Katherine V. Dillon: „Dec. 7 1941 Tue Day the Japanese Attacked Pearl Harbor“, Warner Books Edition 1989
Gordon W. Prange with Donald M. Goldstein and Katherine V. Dillon: „Pearl Harbor Tue Verdict of History“, Penguin Books 1991
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Rear Admiral Edwin T. Layton with Captain Roger Pineau and John Costello: „And I was there“, Quill William Morrow, 1985
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John Prados: „Combined Fleet Decoded“, Random House, 1995
Jürgen Rohwer und Eberhard Jäckel (Herausgeber): „Kriegswende Dezember 1941”,
Bernhard & Graefe Verlag 1984
Donald M. Goldstein, Katherine V. Dillon and J. Michael Wenger: ,,The Way lt Was Pearl Harbor the Original Photographs“, Brassey’s, 1995
Collector’s Edition LIFE: „Pearl Harbor December 7, 1941 -December 7, 1991“, Fall 1991
Collector’s Edition LIFE:“Pearl Harbor America·s Call to Arms“, 2001
P. Willmot: „Pearl Harbor“, Cassell & Co, 2001
Craig Nelson: “Pearl Harbor: From Infamy to Greatness”, Scribner, 2016
Hector C Bywater: “The Great Pacific War – A Historic Prophecy Now Fullfilled”, first published 1925 by Constable & Co. this edition 2016 by Endeavour Press Ltd.
Steven M. Gillon: “Pearl Harbor – FDR Leads The Nation Into War”, Basic Books, 2016